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Channel: Ostschweiz - St. Gallen - Toggenburg
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Vom Dietfurterbach an die Limmat

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Mit dem Erweiterungsbau des Landesmuseums Zürich, der am 31. Juli offiziell eröffnet wird, erweisen die Architekten einem Baumaterial Reverenz, das vor über 100 Jahren in Libingen abgebaut wurde: Dem Kalktuffstein.

LIBINGEN/ZÜRICH. Das Landesmuseum beim Hauptbahnhof Zürich ist ein markanter Bau. 1898 im Stil des Historismus errichtet fällt es auf durch seine märchenschlossartigen Türme und seine mächtigen Sockel aus Tessiner Gneis. Was nur wenige wissen: Seine Fassade wurde aus Toggenburger Steinen gefertigt. Der verwendete Kalktuff - chemisch gesprochen CaCO3- wurde in Libingen unterhalb der Engelschwand, nahe der heutigen Grillstelle im Hohl gebrochen.

Gefragtes Baumaterial

Zwischen 1880 und 1899 bot der Steinbruch einem Trupp Handwerker Arbeit, die den porösen und entstehungsgeschichtlich jungen Tuffstein mit grossen Äxten und Sägen zu Quadern bearbeiteten. Fast Tag für Tag, berichtete der Chronist Anton Breitenmoser 1991 in den «Toggenburger Annalen», hätte ein Pferde- und Ochsengespann die Steine zum Bahnhof Bütschwil geführt. Von dort aus wurden sie zu den Baustellen in der ganzen Schweiz transportiert, wo «eine grosse Nachfrage nach den vorzüglichen Bausteinen herrschte» - das Landesmuseum und auch Kirchen in Zürich, die Leonhardskirche in St. Gallen, die evangelische Kirche in Flawil wurden aus Libinger Tuffstein errichtet.

Die Arbeit im Tuffsteinbruch war gut bezahlt, notierte Chronist Breitenmoser. Der Säger habe einen maximalen Taglohn von fünf Franken erhalten, und wenn die Arbeiter einmal im Monat im «Rössli» Zahltag erhielten, hätten sie sich einen zweiten «Dreier» oder einen besseren Tabak leisten können: «Deswegen wurden sie von den anderen Ortsbewohnern oft beneidet.»

Der harte Tuff entsteht über Jahrhunderte, wenn Kalk sich aus kühlem, munter perlendem Quellwasser löst und an Moosen absetzt. Wie das geschieht, ist beispielsweise auf dem nahen Geoweg unterhalb der Chrüzegg zu beobachten.

Das Wasser gab, das Wasser nahm aber auch: Nach anhaltendem Regen im Sommer 1899 brach die vom Abbau geschwächte Engelswand zusammen, zurück blieb ein Trümmerfeld. Heute noch liegen kleine Tuffsteinbrocken im Dietfurterbach, und nur wer genau hinsieht, kann an wenigen grösseren Brocken Spuren des Abbaus erkennen.

Tuffsteinoptik für den Neubau

Am 1. August wird der 111 Millionen Franken teure Erweiterungsbau des Landesmuseums dem Publikum übergeben. Damit erhält das etwas angestaubte Märchenschloss aus dem 19. Jahrhundert ein expressives Gegenüber, das die alten Gemäuer in einem frischen Licht erscheinen lässt, wie die «Neue Zürcher Zeitung» die Wirkung des neuen Gebäudes beschrieben hat.

Dass Alt und Neu im Platzspitzpark an der Limmat so gut harmonieren, ist nicht nur auf die architektonische Linienführung zurückzuführen. Auch die Materialisierung trägt zum Gefallen bei. Denn dem eigens entwickelten Beton für die Fassaden des Erweiterungsbaus wurde einerseits Tuffstein beigegeben, andererseits liessen die Architekten die Wände mit einer speziellen Hochdruckwassertechnik behandeln - mit dem Effekt, dass die Farben und Oberflächen der zwei Bauten aus zwei Jahrhunderten so stimmig sind.

Echter Libinger Tuffstein am alten, optischer Tuffsteineffekt am neuen Gebäude: Ja, die Architekten haben dem ehrwürdigen Baumaterial aus dem Toggenburg beim Landesmuseum in Zürich die verdiente Reverenz erwiesen.


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