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Ein Gewinn für alle Seiten

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Ein Pilotprojekt mit Flüchtlingen in Lichtensteig lässt die Verantwortlichen beim Kanton aufhorchen. «Es gibt nur Gewinner», sagt Initiant und Projektleiter Jan Colruyt.

Urs M. Hemm

urs.hemm@toggenburgmedien.ch

Es ist laut auf der Baustelle - überall hängt Staub in der Luft, was das Atmen erschwert. Der Mann mit Schutzbrille setzt den schweren Schlagbohrhammer und die Atemschutzmaske ab und lächelt. Sein Name ist Hany. Der 26-Jährige flüchtete vor rund dreieinhalb Jahren vom krisengeschüttelten Eritrea in die Schweiz und lebt seit etwa zweieinhalb Jahren in Lichtensteig. Sein Kollege Mebrahtom, ebenfalls aus Eritrea und 26-jährig, trägt neue Fenster in die obere Etage. Er ist seit zwei Jahren in Lichtensteig. «Richtige Arbeit gab es für uns bisher nicht und so konnten wir auch kein eigenes Geld verdienen», sagt Hany.

Flüchtlinge und Schweizer unter einem Dach

Gegen diese Situation wollte Jan Colruyt etwas unternehmen. «Die Flüchtlingsproblematik betrifft uns alle und geeigneter Wohnraum ist rar», sagt er. Deshalb suchte er ein passendes Objekt, um es Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Fündig wurde er schliesslich in Lichtensteig. Doch überlässt er den Flüchtlingen die Liegenschaft nicht einfach so. Er stellte Hany und Mebrahtom für die Sanierung der Liegenschaft an der Neugasse 10 als Hilfsarbeiter ein. Zwei der vier Wohnungen werden künftig günstig an Flüchtlinge vermietet. In den anderen zwei Wohnungen werden Schweizer wohnen, die willens sind, die Flüchtlinge auf ihrem Integrationsweg zu begleiten. Unterstützt wird Jan Colruyt dabei von der Politischen Gemeinde Lichtensteig. «Wir haben erst kürzlich ein Projekt lanciert, das die Flüchtlingsangebote im Städtli besser aufeinander abstimmen soll», sagt Mathias Müller, Stadtpräsident von Lichtensteig. Koordiniert wird dieses Projekt von der Leiterin des Lichtensteiger Sozialamtes, Livia Rüegg. «In einem ersten Schritt versuchen wir herauszufinden, welche Bedürfnisse, aber auch welche Ressourcen die Flüchtlinge haben, damit wir wissen, wo Handlungsbedarf besteht», sagt Rüegg. Ab Sommer 2017 wird in Lichtensteig, wie in allen St. Galler Gemeinden, eine Quartierschule aufgebaut für den ersten Spracherwerb.

Entlastung für Sozialhilfe

Jan Colruyts Idee liegt das sogenannte wirkungsorientierte Investieren oder Impact Investing zu Grunde (siehe Kasten). «Es entsteht eine Win-Win-Win-Situation. Die Flüchtlinge lernen die Sprache sowie Handwerk und arbeiten für den eigenen Lebensunterhalt. Die Gemeinde bekommt an prominenter Lage ein vorbildlich renoviertes Haus und die Sozialhilfe wird entlastet», erläutert Jan Colruyt. Zudem bekomme er von der Gemeinde finanzielle Unterstützung, damit er den beiden Eritreern einen Stundenlohn gemäss Gesamtarbeitsvertrag für das Baugewerbe bezahlen kann. «Einerseits versprechen wir uns dank dieses Projekts längerfristig tiefere Kosten. Andererseits erhoffen wir uns für die Flüchtlinge aber auch Anschlusslösungen im ersten Arbeitsmarkt», sagt Stadpräsident Mathias Müller.

Die beste Art der Integration

Als ein «Modell, das in der ganzen Ostschweiz sehr wünschenswert wäre», bezeichnet Regula Flisch, Dozentin und Projektleiterin am Institut für Soziale Arbeit an der Fachhochschule St. Gallen, Jan Colruyts Projekt. «Bei diesem Projekt handelt es sich um eine sogenannte mehr­dimensionale Integration, das wichtige Komponenten wie Arbeit, Wohnen und soziale Kontakte in einem beinhaltet.» Dies bedeute zwar für alle Beteiligten einen intensiven Einsatz, es sei aber die beste Art und Weise, Menschen in eine Gesellschaft zu integrieren und eine Idee, die unbedingt weiterverfolgt wer­-den müsse. «Denn über eines müssen wir uns im Klaren sein: Diese Menschen bleiben in der Schweiz», betont Regula Flisch. Damit aber dieses Konzept flächendeckend eingesetzt werden könne, brauche es viel Überzeugungsarbeit auf Seiten aller Beteiligter. «Es ist eine Tatsache, dass einige Flüchtlinge mit einem sehr tiefen Bildungsniveau zu uns kommen», sagt Flisch.

«Dem kann ich nur beipflichten», sagt Walter Baumgartner. Der Antikschreiner und Restaurator aus Lichtensteig leitet die beiden Eritreer auf der Baustelle. «Sie sind zwar sehr motiviert und immer pünktlich, aber ihnen fehlt jegliche Grundbildung», sagt er. So könne er beispielsweise keinen der beiden damit beauftragen, ein ein Meter langes Stück von einer Holzlatte abzusägen, weil sie schlicht und einfach nicht wüssten, was ein Meter ist. Jan Colruyt ist sich all dieser Unwägbarkeiten bewusst. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es der richtige Weg ist», sagt er. Wichtig sei jetzt, Betriebe in der Region von diesem Konzept zu überzeugen, so dass noch mehr Flüchtlinge wie Hany und Mebrahtom eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben bekommen. «Der Staat könnte die Bedingungen erleichtern, indem er beispielsweise ein Teillohnmodell einführen würde, wie es bereits in den Kantonen Bern und Graubünden getestet wurde. Jedoch unabhängig davon: ich werde weitermachen.»


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