Philipp Haag
Eigentlich haben sie verbindenden Charakter. Wege ermöglichen Personen, zu Fuss ungehindert von A nach B zu gelangen und miteinander in Kontakt zu treten. Das Gegenteil geschieht seit ein paar Jahren bei der geplanten Überbauung Neualtwil am östlichen Stadtrand. Fusswege, respektive darauf eingetragene Dienstbarkeiten, entzweien. Auf der einen Seite stehen Bewohner des Quartiers Neualtwil, auf der anderen Seite die Bauunternehmen HRS Real Estate und Ed. Vetter AG. Ein Kontakt zwischen den Parteien ist zwar vorhanden, allerdings auf Seiten der beiden Baufirmen «nur» über einen Anwalt. Die Fronten sind derart verhärtet, dass 18 Personen nun ein Schlichtungsgesuch beim Wiler Vermittlungsamt eingereicht haben. Es ist bereits das zweite Zivilverfahren, welches Anwohner aus dem Quartier gegen die Unternehmen eingeleitet haben. HRS und Vetter möchten auf einer Fläche von 40'000 Quadratmetern eine Siedlung mit 16 Mehrfamilienhäusern und insgesamt 200 Wohnungen erstellen. Allerdings ohne die Wegrechte der Anwohner zu respektieren, wie diese kritisieren.
Einsprachen von 79 Anwohnern abgewiesen
Den Teilstrassenplan und das Baugesuch für die erste Etappe mit acht Mehrfamilienhäusern hat der Stadtrat bereits früher bewilligt. Ende des vergangenen Jahres hat die Stadtregierung auch den Teilstrassenplan und das Baugesuch für die acht Häuser der zweiten Etappe genehmigt und gleichzeitig die Einsprachen von 79 Anwohnern abgewiesen sowie deren Forderung nach Einhaltung der Wegrechte auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Wie bei der ersten Bauetappe verzichten die Einsprecher auf einen Rekurs gegen den stadträtlichen Entscheid beim kantonalen Baudepartement, wie Kurt Stocker, Präsident der IG Pro Neualtwil, sagt. Die IG koordiniert den Einsatz der Anwohner. Stattdessen beschreiten 18 Einsprecher den Zivilrechtsweg. Sie rechnen sich grössere Chancen aus als durch Rechtsmittel im öffentlich-rechtlichen Verfahren, welche sie im Fall des Gestaltungsplans bis ans Bundesgericht ergriffen hatten (siehe Kasten).
Die Kläger aus dem Quartier Neualtwil sehen ihre Eigentumsrechte verletzt. Sie wollen ein einseitiges Entlassen der Eigentümer der angrenzenden Grundstücke aus gegenseitig zugestandenen Fusswegrechten verhindern. Das Eingestehen von gegenseitigen Fusswegrechten, die Wegdienstbarkeit, die nach wie vor Gültigkeit hat, geht auf eine Landumlegungsvereinbarung aus dem Jahr 1978 unter den ehemaligen Grundstückbesitzern zurück, zu denen auch die Stadt Wil gehörte. Die Stadt verkaufte ihre Parzelle später an die HRS.
Nach Ansicht von Stocker sind die neuen Landbesitzer HRS und Vetter an die Wegdienstbarkeit gebunden. Das Wegrecht sei mit Erstellungspflicht der Bauherren im Grundbuch eingetragen, sagt Stocker. Dieses basiert auf einem Erschliessungsplan aus dem Jahr 1974 für Neualtwil. Dieser sieht ein verzweigtes und verästeltes Wegnetz für das gesamte Gebiet vor. Beim bestehenden Quartier, das von einer offenen Philosophie geprägt ist, ist die ursprüngliche Wegführung eingehalten, bei der geplanten Überbauung in angrenzender Nachbarschaft hingegen nicht, weder im Gestaltungsplan noch bei den beiden Teilstrassenplänen und der Anordnung der Bauten. Bei der zweiten Bauetappe kommt hinzu, dass Pappeln, die im kommunalen Schutzplanentwurf als schützenswert eingestuft sind, einem Wendeplatz weichen müssen und Fusswege nicht hindernisfrei realisiert werden, was dem kommunalen Richtplan widerspricht. Den Klägern geht es nicht darum, die Bebauung des Geländes zu verhindern, wie Stocker sagt. Sie erwarten aber, dass die Rechtsverhältnisse von allen Eigentümern auf dem Areal respektiert werden. Dies bedeutet: Die beiden Bauherren sollen ein Wegnetz auf Basis des ursprünglichen Erschliessungsplans realisieren.
Beim ersten Mal keine Lösung gefunden
Nun steht eine Schlichtungsverhandlung an. Da das Treffen beim Vermittlungsamt bei der ersten Bauetappe zu keiner Lösung geführt hatte, geht Stocker davon aus, dass auch dieses Mal keine Einigung erzielt werden kann und der nächste Schritt, der erneute Gang ans Zivilgericht, unvermeidlich sein wird.