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Bachs Passion ging unter die Haut

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Das Palmsonntagkonzert des Konzertzyklus Pro Wattwil in der evangelischen Kirche in Wattwil war Bachs Johannespassion gewidmet. Solisten, Chor und Orchester beeindruckten und ernteten langanhaltenden, intensiven Applaus.

WATTWIL. Im grossen Klangraum der evangelischen Kirche und mit den über 50 auftretenden Sängerinnen und Sängern entfaltete Bachs Oratorium seine ganze Wucht. Einmal ist da die Direktheit der Sprache des Evangelisten, in deren Dienst die Musik steht. Johannes führt mitten hinein ins Leiden Jesu, zum Teil drastisch. Dazu Bachs Musik, die zwischen Höllenqual und Himmelstrost alle Dimensionen auslotet, oft fast gleichzeitig.

Dramatik im Detail folgen

Hier wird nicht nur musikalisch erzählt, sondern um Sinn und Glauben gerungen. Die Aufführung der Kantorei Rapperswil-Jona unter der Leitung von Kantor David Bertschinger, des Zürcher Barockorchesters Concerto Poetico unter Konzertmeisterin Monika Baer und der Mitwirkung namhafter Solisten war von grosser Dramatik, hatte gleichzeitig aber auch Momente von ergreifender Stille und Trost. Sie beeindruckte durch intensive Gestaltungskraft und ging einem unter die Haut. Dazu leistete auch das vorzüglich gestaltete Programmheft mit dem vollständigen Passionstext einen willkommenen Beitrag. Er erlaubte es, ergänzt durch willkommene musikgeschichtliche und kompositorische Hinweise, der Dramatik des Geschehens im Detail zu folgen.

Überraschende «Modernität»

Immer wieder überrascht der Evangelist, bei aller Konzentration auf das Leidens- und Heilsgeschehen, durch realistische Szenen. In durch Bachs Musik doppelt dramatisch wirkenden Turba-Teilen erleben wir den Hass der «rechtgläubigen» Menge, dann wieder kalte emotionale Unbeteiligtheit der römischen Soldaten. Sie hocken unter dem Kreuz und würfeln seelenruhig um den Mantel des Gequälten über ihnen. Überrascht stellt man auch die «Modernität» des Textes fest. Der wankelmütige Pilatus übergibt der aufgestachelten Menge ihren «Ketzer» Jesus erst, als die Pharisäer ihn mit einem politisch anmutenden Argument überzeugen: Wenn du den Aufrührer nicht dem Mob auslieferst, dann «verpetzen» wir dich beim Kaiser. Und in der Gestalt von Petrus und seinen Anfechtungen im angekündigten dreifachen Verrat werden wir Zeugen davon, wie sich sein Verhalten in seinem eigenen Inneren auswirkt, als «der Fels», dem Jesus verzeiht, über sich selbst bitterlich weint. Dem steht die Würde und innerliche Unantastbarkeit Jesu gegenüber, wie sie in seinen wenigen schlichten und gerade deshalb so erschütternden Äusserungen zum Ausdruck kommt, wie sie im Rezitativ und den Arienteilen musikalische Gestalt annahmen : «Mein Reich ist nicht von dieser Welt» (Nr. 16) oder «Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme» (Nr. 18). Als Echo auf die geschilderten Grausamkeiten und Entwürdigungen, denen Jesus ausgeliefert ist, wird der Chor in seinen ruhigen, glaubensfesten und dankbaren Chorälen gleichzeitig Tröster und Prophet, wie es im zentralen Choral (Nr. 22) zum Ausdruck kommt: «Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein, müsst unsere Knechtschaft ewig sein.»

Der Wechsel zwischen höhnender und vor Schadenfreude tanzender Turba - was im Lateinischen ja aufgehetzte Volksmasse bedeutet - und angesichts des Leidens fest zusammenrückenden Gläubigen wird vom grossen Chor problemlos gemeistert.

Packende Gestaltungskraft

Perfekt fügte sich das Zürcher Barockorchester Concerto Poetico mit seiner grossen Erfahrung im Bereich Alter Musik, seinen Originalinstrumenten und seiner spürbar hellwachen Präsenz ins Gesamt der Aufführung ein. Nino Aurelio Gmünder (Tenor) sang den langen Part des Evangelisten mit anhaltend packender Gestaltungskraft.

Ihm ebenbürtig zur Seite standen Samuel Zünd (Bariton) als Pilatus mit menschlichen Zügen sowie Reinhard Strebel (Bass) als den Weg bis ans Ende gehender Jesus. Katja Bertschinger-Köppel (Sopran) und Mojca Vedernjak (Alt) verhalfen der Aufführung mit ihren vollklingenden Stimmen und ihrem feinen Timbre zu ergreifender Klage und - man war dafür dankbar - auch Trost. Stellvertretend für viele, die hier nicht genannt sind, sei noch Organist Martin-Ulrich Brunner für seine hellwache Präsenz am Orgelpositiv erwähnt. Kantor David Bertschinger, dem die musikalische Einstudierung und Leitung des Gesamtwerks oblag, zeigte sich nach der Aufführung denn auch sehr zufrieden. Mit der Aufführung der Johannespassion verabschiedet sich der langjährige musikalische Leiter von «seinem» Chor.


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