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Channel: Ostschweiz - St. Gallen - Toggenburg
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Aus dem Minus wird ein Plus

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Der Aufenthalt im Wohnheim Felsengrund in Stein ist für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner nicht freiwillig. Der Leiter Martin Schmid und die Mitarbeitenden setzen aber alles daran, dass sich die Menschen wohl fühlen.

STEIN. Etwas oberhalb des Dorfes Stein passt sich das Wohnheim Felsengrund in die Hügellandschaft ein. Die vom Blauen Kreuz St. Gallen-Appenzell betriebene Institution bietet 25 Menschen, die körperlich und seelisch vom Alkohol abhängig sind, ein Zuhause mit Tagesstruktur. Voraussetzung für einen Aufenthalt im «Felsengrund» sind ein bereits absolvierter Alkoholentzug, die Bereitschaft, alkoholfrei zu leben, sowie sich in die Hausgemeinschaft und die angebotenen Beschäftigungen zu integrieren.

Für Martin Schmid und seine Mitarbeitenden ist die Tatsache, dass die meisten Bewohner ihren Aufenthalt nicht freiwillig gewählt haben, eine der grössten Herausforderungen.

«Wer hier ankommt, tut dies meist mit negativen Empfindungen. Unsere Aufgabe ist es, aus dem Minus ein Plus oder wenigstens ein neutrales Gefühl zu machen.» Es dürfe auch nicht verschwiegen werden, dass die Bewohnenden schon aufgrund ihrer Vorgeschichte sich nicht immer problemlos integrieren.

Erfreuliche Erlebnisse

Dass es auch Menschen, die wegen des übermässigen Alkoholkonsums ganz unten waren, wieder zurück ins «normale» Leben schaffen, gehöre zu den positiven Erlebnissen. «Genau so erfreulich ist es aber auch, wenn jemand statt des diagnostizierten halben Jahres Lebenserwartung dann noch vier Jahre bei uns sein kann», bringt Martin Schmid seine Ansicht auf den Punkt.

Um den verschiedenen Bedürfnissen und der gesundheitlichen Situation der Bewohner Rechnung zu tragen, wird sowohl die Integration in die Hausgemeinschaft, aber auch Individualität ermöglicht. «Wir haben Menschen die gerne mit anderen zusammen sind, es gibt aber auch Einzelgänger», so Martin Schmid.

Diakon, nicht Missionar

Die Grundhaltung im Wohnheim Felsengrund ist, wie dies zum Blauen Kreuz gehört, christlich. «Doch ich sehe mich als Diakon, nicht als Missionar, und dies soll im alltäglichen Zusammenleben spürbar sein», betont der verantwortliche Leiter. «Es geht mir darum, Menschen, die nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens standen, soweit möglich Eigenständigkeit zu ermöglichen und sie in der Bewältigung des Alltags zu unterstützen.» Martin Schmid hat ursprünglich die Matura abgeschlossen, dann Zimmermann gelernt, sich zum Diakon umgeschult, berufsbegleitend Theologie studiert und dann zehn Jahre als Jugendbeauftragter der Landeskirche in Lyss BE gearbeitet. Mit der Heimleiterausbildung und der Weiterbildung zum Coach holte er sich das nötige Fachwissen, um im Jahr 2006 die Leitung des Wohnheims im Toggenburg zu übernehmen. «Mir war immer klar, dass ich nicht bis zur Pensionierung in der Jugendarbeit bleiben werde, es sollte aber wieder eine Aufgabe mit Menschen sein», so Martin Schmid. Und weil ihm die vier «M», (Man muss Menschen mögen), sehr wichtig sind, fühlt er sich auch mit der Aufgabe im Felsengrund wohl.

«Mir liegen nicht nur die Bewohnenden am Herzen, auch unsere Mitarbeitenden sollen gerne hier sein. Wenn wir es als Team schaffen, dass jede und jeder seine Aufgaben mit Freuden ausführt und nicht nur zur Arbeit kommt, um Ende Monat Geld auf dem Konto zu haben, ist schon viel erreicht.»

Schmaler Grat

Im Umgang mit alkoholabhängigen Menschen hat Martin Schmid reiche Erfahrung. Bereits seine Eltern führten eine entsprechende Institution, und so kam er in jungen Jahren mit den Folgen von Sucht und Abhängigkeit in Kontakt. Auf die Frage, wo die Grenze zwischen Alkoholgenuss und Abhängigkeit ist, antwortet er: «Wenn sich der Körper an den Alkohol gewöhnt hat, diesen also zur Aufrechterhaltung seiner Funktionen braucht, ist es bereits zu spät.» Der Grat zwischen dem «täglichen Gläschen in Ehren» und der Abhängigkeit sei sehr schmal.


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