LICHTENSTEIG. Die Arbeitswelt ist im Wandel. Schon heute bieten viele Unternehmen ihren Angestellten an, einige Tage die Woche im eigenen Heimbüro zu arbeiten. Ein verwandtes Modell sind Coworking Spaces, Gemeinschaftsbüros ohne feste Belegschaft. Angestellte und Selbständige «mieten» sich je nach Bedarf einen Arbeitsplatz vor Ort. Dienstleister und Betreiber stellen Räumlichkeiten und die Infrastruktur, von Internetverbindung bis zum Sitzungstisch zur Verfügung. In der Regel werden solche «Coworkings» von Unternehmen angeboten, neulich jedoch stellte die Gemeinde Lichtensteig ein Novum für die Ostschweiz vor: eine Gemeinde zusammen mit der Genossenschaft Village Office als Betreiber, kein privates Unternehmen.
Mathias Müller, Stadtpräsident von Lichtensteig, erläuterte dem guten Dutzend Gäste die Hintergründe. Der Gemeinderat Lichtensteig hatte im Rahmen der «Mini.Stadt im Toggenburg»-Strategie (das Toggenburger Tagblatt berichtete) einen Studienauftrag an die Fachhochschule St. Gallen vergeben. Um die Abwanderung zu stoppen und den Zuzug zu fördern, sei es wichtig, eine hohe Lebensqualität zu bieten. Hier soll das Coworking zu einem Eckpfeiler für die Innenentwicklung des Städtlis werden: Statt täglich zu pendeln, gehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenige Minuten zu einem temporären, vollwertigen Arbeitsplatz mitten im Ort. Mit dem alten Postgebäude hätte man einen idealen Standort zur Verfügung. Mathias Müller stellte fest, dass jedoch die Bevölkerung mehr als alle Infrastruktur zähle. Die Einwohner zeichneten sich durch Offenheit, Sinn für Innovation und einen hohen Grad der Identifikation aus.
Remo Rusca, Gründer der Smart Identity GmbH und Partner der Genossenschaft Village Office, wurde für diese Phase der Umsetzung des «Mini.Stadt»-Konzepts hinzugezogen. Rusca bestätigte Müller. Untersuchungen zeigten, dass die Wahrnehmung der eigenen Arbeitsleistung wegen des Pendelns belastet sei. Man habe das Gefühl, wegen dieser «toten Zeit» weniger geleistet zu haben, als es tatsächlich der Fall ist. Damit sinken Zufriedenheit und Lebensqualität.
Remo Rusca betonte, dass es jetzt nicht darum gehe, dass Gemeinde und Genossenschaft ein fertiges Produkt plazierten. Das Weshalb stehe im Zentrum, nicht das Was. Nur so könne das Projekt die Leute anziehen: aus eigener, gewachsener Überzeugung. «<Coworkings> entstehen immer von innen», fasste Rusca zusammen.
Teilhabe der Bevölkerung entscheidend
Entsprechend diskutierten im Anschluss die Gäste, ein Querschnitt der Lichtensteiger Bevölkerung, die verschiedenen Aspekte des Projekts. Schnell zeigte sich, dass die Idee auf grosses Interesse stiess. Die Arbeit im Heimbüro sei schön und gut, aber besonders als Elternteil sei man immer auch im Haushalt eingebunden, die Trennung von Privatem und Geschäftlichem falle in den eigenen vier Wänden schwer. Als einer der Impulse der Gruppendiskussionen wurde festgehalten, dass man sinnvollerweise den Coworking Space mit einer Kinderkrippe kombinierte. Denn wenn man auch junge Eltern animieren wolle, im Arbeitsprozess zu verbleiben, dann müsse die Kinderbetreuung geklärt sein.
Der Gemeinderat wird mit Village Office die Ergebnisse der Diskussionen aufarbeiten und konkretisieren. Ein erster Schritt dazu ist der Kauf der verbleibenden Anteile am Postgebäude. Stadtpräsident Mathias Müller zeigte sich überzeugt, dass der Coworking Space Lichtensteig bis im Frühling 2017 bereit stehe.