LICHTENSTEIG. Heimisches, Gewohntes, Überraschendes, Berührendes und einen regelrechten Brexit gab es an den 27. Jazztagen in Lichtensteig zu erleben. Einem Brexit - einen Ausbruch aus Grossbritannien - kam der Auftritt der englischen Soulsängerin Beverly Knight am Samstagabend gleich. Knight und ihre Band schienen auf der Bühne im KB-Zelt förmlich zu explodieren. Die Seelenverwandte von Tina Turner oder Aretha Franklin ist in ihrer Heimat ein Star, in der Schweiz aber völlig unbekannt. Doch für die 43-Jährige scheint der Karrieren-Brexit kurz bevorzustehen.
Glücksgriff Beverly Knight
Mit Beverly Knight hat Programmchef Geni Scherrer einen Glücksgriff gemacht. Mit anderen Namen ebenso, wie dem Appenzeller Echo, das seit einiger Zeit mit dem Akkordeonisten Goran Kovacevic mit der «Balkan-Stobete» durchs Land tourt, wie mit den wirbligen Dänen von Jordan's Drive oder den Popsängern 77 Bombay Street.
Für (fast) alle etwas
Was nach einer breiten Palette von Musikstilen tönt, ist das Rezept der Jazztage: Für (fast) alle etwas. Auch für die, die gerne Altbewährtes wieder hören möchten, zu diesen zählen die Fans von Zydeco Annie und B.B. & the Blues Shacks oder Stephan Holstein. Scherrer hat alle drei wieder engagiert, «weil sie halt gute Stimmung machen», und gleichzeitig jene enttäuscht, die gerne noch mehr Neues entdecken würden.
Dem Auftrag, gute Stimmung zu verbreiten, kamen auch die anderen Musikerinnen und Musiker nach. Jeder und jede auf seine Weise, die einen auf die gemütliche (Swing 2016 mit Denise Gordon, Todos Band), die anderen auf die knallige (Pullup Orchestra, Jaël, Kate Late & the Early Birds). Dann gab es noch einen, der musste im fast leerem Zelt spielen: Jones. Der Berner hatte das Pech, dass das Publikum am Samstag seine Gunst anderen schenkte, und er, weil man ihn (noch) nicht kennt in der Ostschweiz, links liegengelassen wurde. Doch das Publikum hat die Wahl, und es wählt bisweilen unberechenbar. An den Jazztagen kann es sich zudem noch zwischen Musikgenuss und blossem Stelldichein entscheiden. Man bleibt dann halt auf der Hauptgasse und geniesst die schöne Stimmung.
Ueli Mauerhofer, OK-Chef, meinte gestern Sonntagmorgen in einem vorläufigen Fazit: «Bezüglich der Zuschauerzahlen werden wir wohl das Niveau von 2014 erreichen, und 2014 war ein gutes Jahr.» Im allgemeinen sei es ein gut gelungenes Festival gewesen, ohne erwähnenswerte Zwischenfälle. Aufgefallen sei dem OK-Chef die ausserordentliche Stimmung: «Die Leute waren richtiggehend aufgestellt.» An der Lichtensteiger «Streetparade» in der Hauptgasse bringt man sich eben selbst mit, nicht eine Maske. Da mögen nicht nur die Musik, sondern auch die sommerliche Atmosphäre und nicht zuletzt auch die rund 3000 Würste und 4500 Liter Bier, die an den Food-Ständen über die Theke gingen, ihren Teil dazu beigetragen haben.
Rockabilly zum Sonntagsbrunch
Heuer ermöglichte Programmchef Scherrer gleich drei einheimischen Bands einen Auftritt auf der grossen Bühne. The Trembling Giants aus Brunnadern, Darkwhite aus Bütschwil und CMC's aus Mosnang nutzten die Chance und zeigten sich einem grösseren Publikum. Ein Publikum, das den breiten Fächer der angebotenen Musik intensiv erkundete und stets in Bewegung zwischen den neun Konzertlokalen oder Zelten blieb. Dem kommen die zeitlich versetzten Konzerte entgegen, trotzdem ist das Angebot mit 44 Konzerten an zwei Abenden so gross, dass man unmöglich alles sehen, geschweige entdecken kann. Kein Publikum ging vergessen, selbst die Kleinsten nicht. Für sie spielte am Samstagnachmittag Silberbüx auf dem Goldenen Boden. Und für Frühaufsteher gab es am Sonntagmorgen Swing, Zydeco und Rockabilly im «Postplace».