Soja-Teigwaren und Teebeutel: Die Morga produziert seit 80 Jahren in Ebnat-Kappel. Ruedi Lieberherr führt in dritter Generation den Lebensmittelhersteller. Ein Gespräch über Bio-Produkte, gesunde Ernährung, Trends und das Toggenburg.Herr Lieberherr, haben Sie den Tag heute mit einem Morga-Müesli begonnen?
Ruedi Lieberherr: Selbstverständlich. Es war sogar vegan. Statt Milch aus tierischem Ursprung nimmt man dafür Soja- oder Hafermilch. Alternativen zur klassischen Milch sind zurzeit im Trend. Sie sind auch eine Antwort auf Allergien. Wer heute keine Allergie hat, ist nicht in.
Leben Sie sowieso gesund?
Lieberherr: Meine Frau ist Ernährungsberaterin, sie schaut, dass wir uns vernünftig ernähren. Was vernünftig ist, wird natürlich unterschiedlich bewertet. Wir richten uns nach den Grundsätzen der Vollwerternährung der Universität Giessen. Es geht um eine gesunde und vernünftige, nicht um eine extreme Ernährung. Das fängt bei der Naturbelassenheit der Produkte an. Heute denken wir dabei an Bio, früher waren das Reformprodukte. Als Firma achten wir darauf, dass keines unserer Produkte chemische Inhaltsstoffe, Farbstoffe oder Konservierungsmittel enthält.
Die Morga wurde von Ihrem Grossvater gegründet, was wissen Sie noch von ihm?
Lieberherr: Mein Grossvater war ein Tüftler, ein Pionier, manche sagen auch ein «verruckter Cheib». Er ist hier in Kappel aufgewachsen. 1910 bot sich ihm im Alter von 22 Jahren die Gelegenheit, für die Winterthurer Handelsfirma Gebrüder Volkart nach Indien auszuwandern. Der Ursprung unserer Firma liegt gewissermassen in Indien, weil mein Grossvater dort Gewürze und Tee kennenlernte. Bis vor wenigen Jahren hatten wir noch einen Curry-Lieferanten, zu dem der Grossvater damals den Kontakt aufgebaut hatte. 1930 zwangen gesundheitliche Gründe meinen Grossvater zur Rückkehr in die Schweiz.
Und dann gründete er die Morga?
Lieberherr: Ja, er wollte selbständig werden. In Zürich hat er die Firma Morgenthaler & Schneebeli gekauft, die sich in Liquidation befand. Das war damals günstiger, als eine neue Firma zu gründen. Daraus wurde später die Morgenthaler & Co. und 1936 die Morga, als Kurzform von Morgenthaler.
Die Firma war also zuerst in Zürich beheimatet?
Lieberherr: Sogar mein eigener Lehrmeister, den ich 1970 bis 1973 hier im Haus hatte, wurde noch in Zürich eingestellt. Mit dem Namenwechsel 1936 kam auch der Umzug nach Ebnat-Kappel an den jetzigen Standort.
Was hat sich seither verändert?
Lieberherr: Nichts ist so konstant wie die Veränderung. Bis Ende der 1950er-Jahre war Tee das Hauptgeschäft. In der Gastronomie hatten wir über 50 Prozent Marktanteil. Dann kamen die grossen, internationalen Anbieter. Der Anteil der gesunden Ernährung wurde anschliessend grösser. Auch der Absatz hat sich verändert. Früher haben wir mit Fachgeschäften gearbeitet. Wie in verschiedenen Branchen haben diese aber ab den 1980er-Jahren an Relevanz eingebüsst. Wir mussten diversifizieren. Wir wollen auch heute noch mehr Abgabestellen für unsere Produkte, um unser Markenimage zu fördern. Das gilt vor allem für die Schweiz. Im Ausland sind wir nicht so stark, der Anteil liegt bei etwa zehn bis zwölf Prozent.
Ihre Produkte entsprechen dem aktuellen Trend der veganen Ernährung. Gab es früher schon solche Trends?
Lieberherr: Mein Grossvater hat mit Produkten angefangen, die Vorgaben der Reformhäuser beachtet haben. In erster Linie ging es darum, keine Konservierungsmittel zu verwenden. Man kann das schon auch als Trend bezeichnen.
Sehen Sie weitere Trends am Horizont auftauchen?
Lieberherr: Gesundheitlich bedingte Ernährungsweisen werden vermutlich zunehmen. Zöliakie beziehungsweise glutenfreie Produkte beispielsweise sind für uns ein wichtiger und interessanter Teil geworden. Da stellt sich aber auch die Frage, ob der Konsument bereit ist, wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen und seine Ernährung daran anzupassen.
Und abgesehen von gesundheitlich bedingten Trends?
Lieberherr: Bei den Veganern oder auch beim Bio-Konsumenten gibt es ja vor allem zwei Typen. Die einen wollen möglichst natürliche Produkte ohne Zusatzstoffe. Man will sich selber etwas Gutes tun. Die anderen denken eher an die Umwelt, wollen vielleicht keinen Pestizideinsatz. Das ist eher ein ethischer Aspekt. Wie sich das entwickelt, ist fraglich.
Die Morga hat über 1800 Artikel im Sortiment. Wie kommt man auf neue Ideen?
Lieberherr: Das Rezept ist eigentlich ganz simpel: «Läsä, luegä, losä, laufä.» Man schaut, was die Konkurrenz macht, was im Handel gerade im Trend ist, wo die Medien einen Hype lostreten. Aber auch internationale Kontakte zu Kunden und Händlern helfen. Entschieden wird in unserer Produkte-Sitzung. Das Hauptthema ist immer, ein konventionelles Produkt auf Bio umzubauen. Da kann man zum Beispiel nicht einfach den konventionellen Weizen durch Bio-Weizen ersetzen.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Lieberherr: Wir haben gerade die Snack-it-Linie entwickelt. Dabei handelt es sich um Getreidekugeln, die als Chips-Ersatz fungieren können. Auf der Basis Bulgur sind wir an der Entwicklung von Schnellgerichten. Wir sind aber auch gefordert, unsere Informationen einfach zugänglich zu machen. Der Konsument erwartet, dass er direkt am Regal mit dem QR-Code innert Sekunden auf dem Handy sieht, was das für ein Produkt ist. Ich habe noch nie so grosse Umwälzungen erlebt wie in den letzten zwei Jahren. Früher war das einfacher. Da haben wir dem Handel einfach einen Zettel mit den wichtigsten Informationen geschickt.
Sie bezeichnen sich selber als Nischenanbieter, soll das so bleiben?
Lieberherr: Wir sind Nischenanbieter, weil wir eine klare Richtung haben, was unsere Produkte erfüllen sollen. Und weil wir klein sind. Im Schweizer Grössenverhältnis sind wir vermutlich die Müsterchenabteilung der Nestlé. Wir sind aber der Spezialist, wenn es darum geht, schnell und rationell etwas Unkonventionelles zu machen.
Spüren Sie, dass die Grossverteiler in ein Gebiet vorgedrungen sind, dass bisher Ihnen und anderen Spezialisten vorbehalten war?
Lieberherr: Selbstverständlich. Es ist doch immer so: Wenn eine Spezialität zum Trend wird, fahren die Grossen mit der Dampfwalze drüber, um es in die Breite zu verteilen. Das ist aber nicht nur ein Nachteil für einen Nischen-Hersteller wie uns. Der Bio-Trend hat einen massiven Zuwachs erhalten, als Coop begonnen hat, ganze Produktgruppen aufzubauen. Es ist aber natürlich eine Herausforderung, sich im grösseren Pool behaupten zu können.
Was hatte der Wegfall des Euro-Mindestkurses für Auswirkungen?
Lieberherr: Im Export mussten wir zur Erhaltung der Märkte die Marge schrumpfen lassen. Wenn man heute im TV hört, einer Branche ginge es nicht so schlecht, weil die Exporte nicht eingebrochen seien, dann ist das nicht vollständig. Niemand spricht vom Ertrag. Wenn die Firmen keinen Ertrag mehr erwirtschaften, tätigen sie auch keine Investitionen mehr, forcieren die Forschung und Entwicklung nicht mehr. Das werden wir in 20 Jahren spüren. Einzelne Firmen tendieren auch zu Verlagerungen. Beim Import hatten wir unmittelbar nach der Aufhebung die Forderung des Handels, unsere Importprodukte müssten billiger werden. Wir konnten erst nach zwei Monaten reagieren, weil wir noch Waren am Lager hatten, die zum alten Preis eingekauft wurden. Dazu kommt, dass vermehrt internationale Firmen in der Schweiz als Mitbewerber auftreten.
Halten Sie dennoch am Standort im Toggenburg fest?
Lieberherr: Man kann nie nie sagen. Natürlich ist die Lage in Bezug auf die Logistik hier nicht optimal. Aber trotzdem können wir alle Kunden in einer nützlichen Frist erreichen. Wenn wir die ganze Infrastruktur irgendwo im Mittelland neu aufbauen müssten, wäre das wirtschaftlich nicht vertretbar. Wir haben es hier auch einfacher, geeignete Mitarbeiter zu finden, die sich mit der Firma identifizieren.
Auf allen Ebenen? Finden Sie auch einfach Führungskräfte?
Lieberherr: Nein, nicht so einfach. Aber die Situation hat sich verbessert. Bewerber können sich jedoch selten vorstellen, im Toggenburg zu leben. Dabei bezeichnen ausländische Lieferanten die Bedingungen hier als paradiesisch. Wenn ich aber einem Schweizer Werbeberater sage, er solle mich doch mal im Toggenburg besuchen kommen, dann lacht er. Er hätte keine Schneeketten im Auto. Wir haben ein Imageproblem und die Kapriolen im Obertoggenburg mit dem gescheiterten Klanghaus und dem Tarifstreit der Bergbahnen helfen sicher nicht.
Wo wollen Sie mit der Morga hin?
Lieberherr: Wir wollen die Position unserer Marke im Schweizer Handel stärken. Das ist uns in den letzten Jahren bereits gut gelungen. Wir waren früher ein Anbieter im Gesundheitsbereich, heute spricht man im allgemeinen Lebensmittelhandel von uns. Wir wollen auch näher an die Herkunft der Rohstoffe gelangen. Das ist wichtig, weil letztlich die Firma überlebensfähig ist, die den direkten Kontakt zum Rohstoffhändler hat.
Und für Sie persönlich? Sie führen die Morga in der dritten Generation. Aspiriert schon eines Ihrer Kinder auf die Nachfolge?
Lieberherr: Ich habe fünf Kinder aus zwei Ehen. Insbesondere der jüngste Sohn, er ist 17 Jahre alt, interessiert sich sehr und will Betriebswirtschaft studieren. Ich sage ihm immer, bevor er nicht 30 Jahre alt sei, müsse er gar nicht kommen. Mein Vater hat immer gesagt, man müsse mit fremdem Geld üben. Wir haben unsere Führungsstruktur aber jetzt schon massiv auf junge Leute ausgerichtet. Auch in der Geschäftsleitung. Ich selber werde sicher noch drei Jahre voll mitarbeiten, dann bin ich offiziell pensioniert.