Quantcast
Channel: Ostschweiz - St. Gallen - Toggenburg
Viewing all articles
Browse latest Browse all 1001

Vereinsauflösung nach 179 Jahren

$
0
0
Der Männerchor Lichtensteig hat noch elf Mitglieder. Der jüngste Sänger ist 65 Jahre alt, und jüngere Sänger liessen sich nicht mehr finden. An der Hauptversammlung im März wird der Verein aufgelöst.

Cecilia Hess-Lombriser

redaktion@toggenburgmedien.ch

«Es ist, wie es ist», das ist die Einstellung von Niklaus Kläger, bis zur Hauptversammlung im März noch Präsident des Männerchors Lichtensteig. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich endgültig abgezeichnet, dass der Chor in Kürze nicht mehr auftrittsfähig sein wird. Krisen gab es auch früher schon. Am kommenden Samstag wird er um 18.30 Uhr den katholischen Gottesdienst mitgestalten und am Sonntag um 9.40 Uhr den Gottesdienst in der evangelischen Kirche; so wie in den Jahren zuvor. Dieses Mal wird es der endgültige Abschied sein.

Vor vier Jahren hat der Männerchor Lichtensteig noch sein 175-Jahr-Jubiläum gefeiert. «Wir waren damals zwar auch nur noch 15 Sänger, aber niemand dachte daran, dass wir bald aufhören müssen», blickt Niklaus Kläger zurück. Alles verändert sich. Er selber ist ein Beispiel dafür. Anfangs Dezember ist er mit seiner Frau Beatrice von Lichtensteig nach Wattwil gezogen. 40 Jahre lang waren sie Hauswarte im Mehrfamilienhaus gewesen, wo sie gewohnt hatten. «Es war Zeit für die Veränderung», sagen die beiden. Sie haben sie gewählt und akzeptiert. «Genauso ist es mit dem Männerchor. Es geht nicht mehr und es ist auch gut so», sagt der Präsident ganz nüchtern. Keine Wehmut, kein Bedauern ist aus seinen Worten zu hören. «Alle Sänger sind damit einverstanden, den Verein aufzulösen.» Die ältesten zwei Mitglieder haben den Jahrgang 1929. Im Vorstand sind noch vier Mitglieder: Niklaus Kläger, Präsident; Werner Lamprecht, Vizepräsident; Peter Koch, Aktuar und Kassier, und Dagobert Fluri, Archivar. Die Kräfte aller schwinden. Der Aufwand für Anlässe und Sängerfeste ist zu gross geworden. Die Entscheidung, den Männerchor Lichtensteig nach 179 Jahren aufzulösen, ist deshalb realistisch und nachvollziehbar. Gemäss Statuten wird das Geld, das noch in der Kasse übrig bleibt, von der Gemeinde verwaltet, bis ein Chor mit ähnlichen Zielen wie der bisherige gegründet wird, und wenn nicht, wird es nach einer bestimmten Frist für einen gemeinnützigen Zweck verwendet.

«Niemand will sich mehr verpflichten»

«Wie gross bist du» wird der Männerchor Lichtensteig am kommenden Wochenende in den Lichtensteiger Kirchen unter anderem singen. Ein Loblied auf das, was Gott geschaffen hat. Die Stimme kommt darin nicht explizit vor, aber der Refrain «Dann jauchzt mein Herz dir, grosser Herrscher zu» dürfte sie mit meinen. Ein rührendes Lied, überall und in verschiedenen Variationen gesungen, und würdig für einen Abschied in Demut. «Wir haben trotzdem einen guten Chorklang, auch wenn wir nur noch elf sind. Alle Stimmen sind noch vertreten», betont Niklaus Kläger, der 2. Bass singt. «Er hat eine tragende Stimme», wirft seine Frau ein. Sie ist ebenfalls über die Entwicklung des Vereins im Bild. Sie holt ein Schwarz-Weiss-Foto aus dem Fundus, das den Männerchor vor mehr als 50 Jahren zeigt - in Frack oder Gehrock und Zylinder. «Lange war der Männerchor nur den ‹Mehrbesseren›, den Geschäftsleuten, zugänglich. Ihr Vater war Massschneider und auf dem Bild zu sehen. An den Konzertabenden mussten die männlichen Gäste Krawatte tragen und die Frauen lange Roben. Wählerisch zu sein, kann sich der Männerchor schon lange nicht mehr leisten. War er in den besten Jahren noch mit bis zu 50 Sängern an den Kantonalen Gesangsfesten vertreten, waren es 2011 in Marbach - das allerletzte Kantonale Gesangsfest für den Verein - noch 15 Mitglieder. Immerhin schlossen sie mit «sehr gut» ab. Eine Antwort auf die Gründe des Mitgliederschwunds hat der Präsident nur teilweise. Mitglieder sind älter geworden und gestorben, andere konnten nicht mehr gut stehen oder die Stimme versagte. «Jüngere Männer liessen sich nicht mehr bewegen. Sie haben andere Interessen. Wenige wollen sich noch verpflichten oder Angefragte sagten, sie könnten nicht singen».

Letzter Dirigent und letzter Präsident

Auch wenn die Geschichte des Männerchors Lichtensteig zu Ende geht, erinnert sich der Präsident, der selber seit 20 Jahren im Chor singt und seit 2006 Präsident ist, gerne zurück. Da sind die vielen Gesangfeste, an denen man immer neue Menschen kennengelernt habe, die eigenen Abende, die vielen Ständchen oder die beliebten Jubilaren-Singabende für über 80-Jährige. «Da sind jeweils rund 60 Personen gekommen und unsere Frauen haben ein Nachtessen für sie gekocht.» Und die Kameradschaft sei immer schön gewesen und auch die Reisen. Singen sei gesund für die Lungen. An der HV werde darüber nachgedacht, wie man sich treffen könne. «Auf jeden Fall machen wir noch eine Reise.» Seit 2010 dirigiert Thomas Ulsamer den Chor. «Er hätte uns weiterhin geleitet, wir haben es gut zusammen», stellt Niklaus Kläger fest. Ulsamer ist seit 1854 der 21. Dirigent. Kläger ist seit 1854 - offensichtlich fehlen die ersten Aufzeichnungen - der 45. Präsident. Er hat nun die Aufgabe, die letzte Hauptversammlung zu leiten und über die Vereinsauflösung abstimmen zu lassen.

Letzte Auftritte im Gottesdienst, 14. Januar, 18.30 Uhr, katholische Kirche Lichtensteig und am Sonntag, 15. Januar, 9.40 Uhr, evangelische Kirche, ebenfalls Lichtensteig.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 1001