Martin Knoepfel, Lichtensteigt
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Die junge Frau, die Privatklägerin, wartet in einem anderen Raum und kommt später in den Saal. Während der vorsitzende Richter sie befragt, muss der Angeklagte in einem anderen Stock warten - er hört die Fragen und Antworten über ein Handy mit.
Die Frau - sie hat Jahrgang 1996 und stammt aus Süditalien, ist aber offensichtlich hier aufgewachsen - antwortet ohne Stocken. Sie spricht sehr leise. Für die Befragung des Angeklagten und den Rest der Verhandlung bleibt sie im Saal. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, Gerichtsberichterstatter ausgenommen.
Vorgestern Donnerstagnachmittag geht es im Kreisgericht Toggenburg in Lichtensteig um den Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung der jungen Frau durch den Angeklagten am 27. und 28. September 2015. Dazu kommen Verstösse gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz (siehe Zusatz). Der Angeklagte stammt aus Bosnien-Herzegowina, hat Jahrgang 1987, ist seit 1988 in der Schweiz und arbeitet seit gut acht Jahren im Betrieb der Metallbranche, in dem er die Lehre absolviert hat. Seine Eltern und die Geschwister sind laut seiner Aussage alle tot.
Beziehung dauerte wenige Tage
Sie und der Angeklagte seien drei oder vier Tage ein Paar gewesen, sagt die junge Frau. Sie habe vor Glück nicht einschlafen können, schreibt sie in einem SMS. «Ich teile dich nicht mit einer anderen Bitch» heisst es in einer anderen. Sie habe die Beziehung nicht fortgeführt, da er auf ihre SMS und Handyanrufe nicht reagiert habe, sagt die junge Frau. Sie hätte nie gedacht, dass ihr früherer Freund zu einer Vergewaltigung fähig sei.
Er kenne die Frau etwa seit deren 18. Geburtstag, sagt der Angeklagte. Er sei in sie verliebt gewesen und habe immer noch Gefühle für sie. «Sie ist süss, weiss, was sie will, und bekommt, was sie will.» Auf das SMS habe er nicht reagiert, da er bei der Arbeit nicht telefonieren dürfe.
Am Abend des 27. September holt der Angeklagte seine Freundin bei deren Eltern ab. Sie fahren in seine Wohnung im Alttoggenburg und sehen fern. Sie zupft seine Augenbrauen. Er umarmt sie. Sie schlingt die Beine um seine Hüften. Zweimal haben sie Sex. Dazwischen, etwa um 2.30 Uhr, läutet die Klingel. Der Angeklagte öffnet nicht. So weit schildern beide das Geschehen gleich.
Laut der jungen Frau liegt sie plötzlich auf dem Bett. Der Mann hält mit einer Hand ihre Hände und zieht mit der anderen ihre Hose herunter, obwohl sie weint. Dann dringt er in sie ein. Später schläft er neben ihr ein. Beim zweiten Mal, nach dem Klingeln, wehrt sie sich aus Angst nicht, sagt die junge Frau. Anzeige erstattet sie nach zwei Tagen. Die Mutter hört vom Angeklagten vom Vorfall. Der Mutter habe sie nichts gesagt, sagt die junge Frau, da sie nie ausser Hörweite des Vaters mit der Mutter reden konnte.
Der Angeklagte schildert die entscheidenden Momente anders. Die junge Frau sei ins Schlafzimmer gerannt. Erst hätten sie beide auf dem Bett gelegen und gekuschelt. Er habe nie den Eindruck gehabt, sie wolle keinen Sex, sagt er. Sie habe nicht geweint. Auch nach dem zweiten Mal hätten sie erneut gekuschelt. Auf der Heimfahrt habe die junge Frau wie früher seine Hand genommen und zwischen ihre Beine gehalten, sagt der Angeklagte.
Anklage beantragt drei Jahre
Der Staatsanwalt plädiert für eine teilbedingte Strafe von drei Jahren, wovon 18 Monate bedingt. Eine bedingte Geldstrafe von 6600 Franken wegen eines Verkehrsdelikts sei zu vollziehen. Der Angeklagte sei in zehn Jahren viermal rückfällig geworden, sagt der Staatsanwalt. Die Privatklägerin habe dem Angeklagten vertraut und sei darum tief verletzt. Ihre Aussagen seien ohne Widerspruch.
Der Anwalt der jungen Frau beantragt 20 000 Franken Genugtuung. Der Angeklagte sei seiner Mandantin körperlich weit überlegen. Deshalb habe es nicht viel Gewaltanwendung erfordert, sagt der Anwalt.
Der Verteidiger plädiert auf Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung. Die anderen Anklagen akzeptiert er. Sein Mandant schildere die Ereignisse originell, detailliert und inhaltlich konsistent. Die Privatklägerin schildere nebensächliche Punkte detailliert und zentrale Punkte detailarm. Zweifellos habe sich alles so abgespielt, wie es der Angeklagte darstelle. «Sehr speziell» sei, dass die Mutter der Privatklägerin offenlasse, wessen Version der Ereignisse stimme. Sein Mandant habe eine Beziehung mit der Privatklägerin angestrebt und kein Motiv gehabt, das Ziel durch eine Vergewaltigung zu gefährden, sagt der Anwalt. Das Urteil des Kreisgerichts steht noch aus.